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Die Gärten des M. Foucault

Hannoversche Allgemeine Zeitung

Von Motten, Masken und Menschen
Schauspielstudenten zeigen auf der Studiobühne das choreografische Projekt „Die Gärten des M. Foucault“

Das Konzept der Heterotopie des poststrukturalistischen Philosophen Michel Foucault zum Thema eines Choreografieprojekts für Schauspielstudenten im zweiten Studienjahr zu machen – das erscheint auf den ersten Blick ungefähr so naheliegend wie ein Disney-Musical über den Satz des Pythagoras.

Die Kraft des Zitats

Tatsächlich besteht eine beachtliche Differenz zwischen einer recht unmittelbar erklärenden Zusammenfassung im Programmheft und der Inszenierung „Die Gärten des M. Foucault“ auf der Studiobühne der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Das Projekt unter der künstlerischen Gesamtleitung von Stephan Hintze bedient sich zunächst scheinbar nur der assoziativen Kraft eines Zitats, ohne sich weiter mit Foucaults Schriften zu Wissen, Macht und Subjekt auseinanderzusetzen.

Hier zeigt sich, mit welcher radikalen Bereitschaft zur Assoziation das Team um die zehn Studierenden vorgeht: „Der Teppich ist ein Garten“ – das ist stark vereinfacht. Im Original schreibt Foucault: „Und die Teppiche waren ursprünglich Reproduktionen von Gärten. Der Garten ist ein Teppich, auf dem die ganze Welt ihre symbolische Vollkommenheit erreicht, und der Teppich ist so etwas wie ein im Raum mobiler Garten. Der Garten ist seit dem ältesten Altertum eine selige und universalisierende Heterotopie.“ Das Wort Heterotopie fällt während der Choreografie nur einmal, als eine Gruppe von Abenteurern auf ein Volk skurriler Mottenwesen stößt, das in und mit weggeworfenen Teppichen lebt. So beschreibt es zumindest das Programmheft.

Eine Figur telegrafiert daraufhin: „Expedition gelungen, stop, unglaubliche Heterotopien, stop.“ Es erweist sich als hilfreich zu wissen, was Foucault mit diesem Begriff bezeichnet. Dass es dabei um die Überlagerung eigentlich unvereinbarer Räume an nur einem Ort geht, um Orte, deren Erleben sich aus Zuschreibungen, Behauptungen und Überlieferungen konstruiert. Nicht zuletzt Theaterbühnen nennt Foucault als exemplarische Heterotopien. Mit diesem Kontext werden die Teppiche in der Inszenierung zu mehr als Kleidung, Wohnung, sich verändernde Welten und alles verschlingende Narrativen. Sie verwandeln sich in Schichten erlebbarer Wirklichkeit. Selbst der muffige Staub, den sie beim Anhäufen aufwirbeln, wird zur Bedeutungsebene.

Illusion und Halluzination

Die gestrickten Masken, die den Darstellern einen schnellen und effektiven Wechsel zwischen Forschern und Mottenwesen erlauben, changieren zwischen Tierwelt und Fetischclub, zwischen Handwerk und Ritual. Sarah Schmidt und Amelie Müller tragen als Kostümbildnerinnen auch mit anderen großartigen Details wesentlich zur Überlagerung von Rollenzuschreibungen bei. Die Figuren könnten sowohl prähistorisch als auch postapokalyptisch sein, Illusion wie Halluzination. Das Ensemble spielt dabei geschickt mit Schöpfungsmythen, Literatur, Ritual und Besessenheit. Dabei arbeitet das Projekt mit wenig Text und vollem Körpereinsatz. Elemente aus Slapstick, Groteske und Pantomime fügen sich in das fast Shakespearesche Durcheinander, das Motten und Menschen auf der Bühne beschwören.

Doch immer, wenn sich Foucaults Gedanken zum Selbstentwurf von Subjekten gerade mit dem Bühnengeschehen zu decken scheinen, ertönt ein Summton, das Licht wechselt und eine automatische Schiebetür spuckt neue Objekte und Figuren aus – als säße dahinter ein steuernder Laborant, der eifrig notiert, wie die Individuen auf Reize reagieren. Die Heterotopie wird zur Dystopie.

Thomas Kaestle

Weitere Informationen:
Die Gärten des M. Foucault

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