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Zerstörte Straßen

Ronald Meyer-Arlt HAZ 30.4.2022
Das Expo Theater, an dem Studierende des Studiengangs Schauspiel ihre Arbeiten aufführen,hat die Rechte für die Deutsche Erstaufführung von Natalia Vorozhbyts ,,Zerstörte Straßen“ bekommen.

Hannover. Zum Welttheatertag am 27. März hat die ukrainische Autorin Natalia Vorozhbyt eine Videobotschaft veröffentlicht. Viele Theater, darunter auch das Schauspiel Hannover, haben diese Botschaft auf ihren Internetseiten das Schauspiel Hannover, haben diese Botschaft auf ihren Internetseiten veröffentlicht. In ihrem Video spricht die Dramatikerin von Schmerz und Verzweiflung und davon, wie ausgelaugt sie durch die fortwährende Beschäftigung mit dem Krieg ist. Und sie fordert die Zuschauer auf: ,,Ich bitte Sie, sich nicht an diesen Krieg zu gewöhnen.“

Je länger der russische Krieg in der Ukraine dauert, umso mehr gewinnt ihre Bitte an Dringlichkeit. Dass Krieg nichts ist, an das man sich gewöhnen sollte, aber durchaus etwas, an das man sich gewöhnen kann, schildert sie in ihrem Stück,,Zerstörte Straßen“, das 2017 aufgeführt wurde. Darin geht es um den Krieg in der Ostukraine. ,,Zerstörte Straßen“ zeigt Szenen aus dem Donbass, es geht um Entmenschlichung, Gewalt, Vergewaltigung, aber auch um die Frage, wie es für eine Frau ist, sich in einen Soldaten zu verlieben. Mit. Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurden viele Theater in Deutschland auf das Stück aufmerksam. Das Expo Theater, an dem Studierende des Studiengangs Schauspiel der Musikhochschule ihre Semesterarbeiten aufführen, hatte zuerst beim Theaterverlag nachgefragt und die Rechte für die Deutsche Erstaufführung bekommen. Andere Häuser werden das Stück in den nächsten Wochen nachspielen.

Theater über einen Krieg, der ganz nah ist
Zerstörte Straßen" ist ein wichtiges und auch ein sehr kompliziertes Stück. Von einem Krieg zu berichten, der ganz nah ist, ist etwas anders, als von Troja zu erzählen oder von Wallensteins Truppen. Man kann viel dabei falsch machen. Man kann falsche Töne treffen. Man kann den Krieg ästhetisieren. Oder vereinfachen.

Im Expo Theater treten Studierende des dritten und vieren Studienjahres auf; sie können schon viel, befinden sich aber noch in der Ausbildung. Sie laufen immer in Gefahr, zu viel zu zeigen, zu intensiv zu spielen, oder Intensität zu demonstrieren. Die Kriegsszenen sind hier auch ein Anlass zu zeigen, was man alles kann. Das Theater, das vom Krieg erzählt, wird zu einem Mittel, mit dem Studierende ihre Fertigkeiten demonstrieren. Dem Regisseur Titus Georgi scheint die Sache selbst nicht ganz geheuer zu sein. In einer sehr quälenden Szene, in der gezeigt wird, was eine Frau erleiden muss, die von Soldaten gefangengenommen wurde, sieht es so aus, als würde er seiner eigenen szenischen Phantasie nicht trauen: Er verlegt die Szene nach ganz hinten, so dass die Zuschauenden auf Abstand gehalten werden. Wo doch eigentlich das Gegenteil bezweckt werden sollte.

Die Schauspielerinnen und Schauspieler (Jana Auburger, Sophia van den Berg, Paul Wiesmann, Jan-Hendrik von Minden und Leo Kramer) wissen sich zu bewegen und sie wissen zu sprechen. Ihnen allen dürfte man wohl irgendwann auf Theaterbühnen oder in Vorabendserien begegnen können. Was sie jetzt noch lernen sollten, wäre ein Bewusstsein für Zurückhaltung und Demut, ein Gespür für die Grenzen des "Als ob", ein Gefühl dafür, wann es angemessen wäre, nicht zu spielen.

Sie haben es gespielt. Wir haben es angesehen. Das Stück der ukrainischen Autorin, Originaltitel „Bad Roads“ spielt 2017, erschreckenderweise trifft es genauso auf
die Gegenwart zu. Eine Frau und ein Mann fahren zusammen an die Front. Ihr Beruf ist Schreiben, seiner der Krieg. Sie verlieben
sich. So knapp könnte man alle Begegnungen zwischen den Personen beschreiben, die im Gegenteil kompliziert sind, widersprüchlich, die Verwandlung der Menschen durch den Krieg zeigen. Für das Team, die Schauspieler:innen eine Aufgabe, die sie sich nicht leicht gemacht haben. „Wir wollten nichts entschärfen, denn so findet es im Moment ja tatsächlich statt.“ Sie waren mutig, haben sich weit herausgetraut. Sie haben die Szenen zerschnitten „um sie aushaltbarer zu machen.“ Mehr hätten die meisten Zuschauer:innen auch kaum ertragen. Es sind drei Ebenen: Die – fiktive – Erzählung der Autorin, die Dialog-Szenen, die Video- Szenen, größtenteils live, im Breitwandformat. Eine Stange trennt Vorder- und den leicht erhöhten Hintergrund. Drei Schulmädchen unterhalten sich über ihre Geschenke von Soldaten. Sie geben an, sie konkurrieren, sie schämen sich, machen sich was vor. Die Schauspieler:innen zeigen offen, wir sind nicht im Schulmädchenalter, eines
der Mädchen wird von einem Mann gespielt. Das verfremdet und intensiviert zugleich. Und gerade weil sie nichts ‚vor‘-spielen, sind alle Spieler:innen in jeder Minute glaubhaft. Eine Frau und ein Soldat fahren in einem Jeep, auf der Bühne sitzen sie auf einem Sofa. Die Frau macht sich an den Soldaten ran. Aus Verzweiflung, im Kofferraum liegt ihr Mann mit abgeschnittenem Kopf. Sein Kommandant. Szenenwechsel zur härtesten Szene: Er und sie, Russe und Ukrainerin. Er schlägt sie, will sie vergewaltigen. Sie redet um ihr Leben, behauptet „ich liebe dich“, um ihn zu rühren. Er wirft sie zu Boden, schmeißt sich auf sie, sie redet weiter, zum Schein einverstanden. Er lässt sich nicht abhalten, aber er kann nicht. Szenenwechsel. Die Fahrszene von Frau und Soldat eskaliert. Er schmeißt sie raus, lässt sie wieder rein. Das Auto springt nicht an. Die Frau will plötzlich ihren Mann beerdigen, sie will ihn jetzt, sofort, verbrennen. Der Soldat nimmt sie in den Arm. Die Szene im Keller bleibt extrem bedrohlich. Sie gibt nicht auf und bringt ihn schließlich
zum Reden, von sich selbst, vom Krieg. Er wird zum Menschen. Er hatte eine Baufirma, wollte nicht in den Krieg, ist jetzt verloren, beschädigt, scheint suizidal. Er rettet sich durch Gewalt, kündigt schlimmste Grausamkeiten an. Sie wird ohnmächtig. Den Zuschauern stockt der Atem. Er hat nur so getan. Kürzlich sagte Natalia Vorozhbyt „Bitte gewöhnt euch nicht an diesen Krieg.“ Ihr Stück und die Schauspieler:innen halten uns wach.

Von: Ulrike Kahle-Steinweh

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